Das Bundesarbeitsgericht hat heute bestätigt, dass ein Verfall von Resturlaub nur noch möglich ist, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter auf den bestehenden Urlaubsanspruch hingewiesen hat. Damit gibt das Bundesarbeitsgericht seine jahrelange Rechtsprechung auf und folgt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (BAG, Az.: 9 AZR 266/20). Der Urlaub verfällt also nur, wenn der Arbeitgeber ordentlich darüber aufgeklärt hat. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber die Urlaubsnahme auch tatsächlich ermöglicht haben. Er darf also den Urlaubsantrag beispielsweise nicht aus betrieblichen Gründen abgelehnt haben.

Nutzen Sie für Ihre Personalabteilung eine Vorlage zum Hinweis auf Resturlaub, um Ihre Arbeitnehmer zur Abgabe eines Urlaubsantrags aufzufordern.

Arbeitgeber muss auf Urlaubsanspruch hinweisen

Doch woraus leitet sich die neue Pflicht her? Im Gesetz findet man keine konkrete Aussage. In § 7 Absatz 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) gibt es keine Regelung zu einer etwaigen Hinweispflicht. Aus dem Gesetz lässt sich lediglich entnehmen, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Bedeutet das zwangsweise, dass Urlaub verfällt, wenn er nicht aufgebraucht wurde? Abweichungen sieht der Gesetzgeber nur vor, wenn dringende betriebliche Gründe vorliegen.

Viele tarifliche und betriebliche Regelungen sehen zudem vor, dass man den Urlaub bis in das erste Quartal des Folgejahres mitnehmen kann. Auch in individuellen Arbeitsverträgen können die Parteien die Übertragbarkeit von Urlaubsansprüchen vereinbaren. Ohne eine spezielle Vereinbarung im Arbeitsverhältnis müssen Arbeitnehmer den Urlaub also im laufenden Kalenderjahr nehmen.

Wichtig: Das Bundesarbeitsgericht hat am 20. Dezember 2022 klargestellt, dass Arbeitgeber über offene Resturlaubsansprüche aufklären müssen. Auch rückwirkend können Arbeitnehmer ansonsten noch Urlaubsansprüche geltend machen. Noch offen ist allerdings, wie lange rückwirkend die Urlaubsansprüche geltend gemacht werden können. Die Entscheidung dürfte für das laufende Urlaubsjahr zu spät kommen. Und genaue Vorgaben zur Hinweispflicht Resturlaub gibt es momentan noch nicht. Sie sind auf der sicheren Seite, wenn der Hinweis schriftlich erfolgt und vom Arbeitnehmer gegengezeichnet wird. Im Vorfeld der Entscheidung hatte der EuGH (Rs. C-120/21) bereits entschieden, dass Resturlaub nur dann verfallen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hingewiesen hat, dass sein Urlaub bald verfällt. Prüfen Sie daher im laufenden Urlaubsjahr die Urlaubsplanung ihrer Mitarbeiter genau. Hat ein Arbeitnehmer seinen im Arbeitsvertrag vereinbarten Jahresurlaub noch nicht vollständig eingereicht? Dann besteht für die Personalabteilung jetzt Handlungsbedarf! Denn laut Bundesarbeitsgericht (BAG) und EuGH verfällt nicht genommener Resturlaub nicht mehr automatisch.

Arbeitgeber trägt Beweislast für freiwilligen Verzicht

Das Bundesarbeitsgericht hat unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seine bisherige Rechtsprechung nun geändert.Die fragliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stammt bereits aus dem November 2018 ergangen war. In dem entschieden Fall ging es um die Frage der Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Az. C-684/16). Konkret war zu klären, ob der Anspruch auf Auszahlung der Abgeltung verfällt, wenn ein Arbeitnehmer den Urlaubsantrag nicht rechtzeitig vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingereicht hat.

Urlaub auszahlen lassen – Abgeltungsanspruch bleibt

Geklagt hatten zwei Beschäftigte, die bei Ende des Beschäftigungsverhältnisses vom Arbeitgeber keine Entschädigung für nicht genommene Urlaubstage erhalten hatten. Begründung des Arbeitgebers: Der Urlaubsanspruch sei verfallen, weil kein Urlaubsantrag gestellt wurde. Laut europäischer Arbeitszeitrichtlinie besteht jedoch ein Anspruch auf Abgeltung des Resturlaubs immer,  wenn Urlaubstage vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen wurden. Der Urlaubsantrag des Arbeitnehmers wird in der Richtlinie als Voraussetzung für den Abgeltungsanspruch des Arbeitnehmers gar nicht erwähnt.

Folglich entschied der EuGH, dass ein Arbeitnehmer seinen Abgeltungsanspruch nicht verliert. Selbst, wenn er zuvor keinen Urlaubsantrag gestellt hatte. Etwas anderes könne nur gelten, wenn der Arbeitnehmer in vollem Bewusstsein über die Folgen ausdrücklich auf den Urlaub verzichtet habe.

Arbeitgeber darf keinen Urlaub aufzwingen

Wenn der Arbeitgeber sich auf einen solchen freiwilligen Verzicht des Arbeitnehmers berufen wolle, trage er die Beweispflicht. Die Richter am EuGH verwiesen auf die schwache Position des Arbeitnehmers. Aufgrund seiner unterlegenen Position könne der Arbeitnehmer eventuell Nachteile befürchten, wenn er seine gesetzlichen Ansprüche geltend mache.

Hinweisen, aber nicht anordnen

Die Richter am Bundesarbeitsgericht haben diese Rechtsprechung nun auch für bestehende Arbeitsverhältnisse übernommen. Der Unternehmer muss in Zukunft alle Arbeitnehmer auf bestehende Urlaubsansprüche, ausdrücklich hinweisen (Az. 9 AZR 541/15). Und zwar rechtzeitig, bevor sie verfallen. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch deutlich gemacht, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer von sich einen Urlaub zu verordnen. Ein Arbeitnehmer darf also weiterhin freiwillig auf Urlaubstage verzichten. Doch im Streitfall tragen Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer freiwillig auf den Urlaub verzichtet hat. Weisen Sie den Arbeitnehmer schriftlich auf den Resturlaub hin. Wichtig: Lassen Sie sich den Empfang des Schreibens quittieren.

So weisen Sie Ihre Arbeitnehmer auf den Resturlaub hin, damit der Urlaub verfällt

Gehen Sie wie folgt vor, um ihrer Hinweispflicht auf Resturlaub nachzukommen:

  • Spätestens im September/ Oktober des laufenden Jahres sollten Sie sich einen Überblick über die offenen Urlaubsansprüche Ihrer Mitarbeiter verschaffen.
  • Sofern einzelne Mitarbeiter Ihren vollen Jahresurlaub noch nicht eingereicht haben, besteht Handlungsbedarf. Weisen Sie die betreffenden Mitarbeiter auf die Anzahl der offenen Urlaubstage hin.
  • Teilen Sie ihnen mit, wann sie diese Urlaubstage spätestens nehmen müssen und wann der Urlaub verfällt.
  • Formulieren Sie die Hinweise immer schriftlich – zu Beweiszwecken. Arbeitnehmer sollen in jedem Fall durch ihre Unterschrift die Kenntnisnahme bescheinigen.
  • Reicht der Arbeitnehmer dann weiterhin keinen Urlaubsantrag ein, kann er sich später nicht auf Unkenntnis berufen.

Individuelle Vereinbarungen treffen

Falls es aus betrieblichen Gründen oder auch aufgrund privater Umstände des Mitarbeiters nicht möglich ist, den Urlaub noch im laufenden Urlaubsjahr zu nehmen, müssen Sie eine Lösung finden. Setzen Sie sich zusammen und planen Sie weiteren Schritte. Sie können ggf. auch vereinbaren, den Resturlaub auszuzahlen. Treffen Sie in jedem Fall eine individuelle Vereinbarung oder regeln Sie auf betrieblicher Ebene, wie mit den Resturlaubsansprüchen im Betrieb vorgegangen wird. 

Auszahlung von Urlaubsansprüchen bleibt Ausnahme

Wichtig: Im Zweifel kann man den Urlaub ins nächste Jahr mitnehmen. Der Gesetzgeber sieht nicht vor, dass der Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis den Urlaub auszahlt. Denn der Urlaub soll ja der Erholung und damit der Gesundheit dienen. Nur für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis endet, bevor der Urlaub genommen werden kann, darf der Arbeitnehmer eine Urlaubsabgeltung verlangen. Sie müssen als Arbeitgeber also keinesfalls darauf eingehen, wenn ein Beschäftigter lieber Geld statt Urlaub hätte, sofern Sie ihm die Möglichkeit geben, seinen Urlaub zu nehmen.